Die Preisspirale dreht sich immer schneller

23.10.2012

Geht es in diesem Stil weiter, kostet die Kilowattstunde bald 30 Cent. Die heimischen Stadtwerke sagen: Über die Hälfte davon geht an den Staat, darauf haben wir keinen Einfluss, das können wir nicht mehr abfangen. Der normale Kunde blickt schon längst nicht mehr durch.

von Hans Weimann

Die so harmlos klingenden Namen wie EEG-Umlage, Netzentgelte, Entgelte nach Paragraph 19, Umlage Offshorehaftung und kwk-Umlage werden Stromkunden eine Überraschung zum Jahresende bescheren, wenn ihnen ihre Stadtwerke die neuen Tarife mitteilen. Namen, die auch als Synonym für die chaotische Umsetzung der Energiewende stehen. Namen, die heimische Stadtwerke in Erklärungsnöte bringt, denn sie müssen ihren Kunden plausibel machen, dass sie auf diese Umlagen keinen Einfluss haben – frei nach dem Motto: Sorry wir finden das auch nicht witzig, aber das ist nicht auf unserem Mist gewachsen.

Und eine rote Linie wurde überschritten: Zählt man alle Umlagen zusammen, steigt der Staatsanteil am Strom erstmals über 50 Prozent. Eine Steigerung, die sich aus vielen kleinen Einzelposten summiert – manche mit einer Null vor dem Komma, doch es läppert sich. So kommt man nach den letzten Hochrechnungen auf 3 bis 4 Cent Mehrkosten.

Damit nähert sich der Preis für die Kilowattstunde Strom in nicht allzu ferner Zukunft der 30-Cent-Grenze. Das heißt, ein durchschnittlicher Haushalt, der 4000 Kilowattstunden verbraucht, würde im Jahr zwischen 130 und 180 Euro höhere Stromkosten haben.

Wer erfassen will, wie die Strompreise tatsächlich gestiegen sind, muss in Pfennig rechnen: Ein günstiger Anbieter verlangte zur Jahrtausendwende vor 12 Jahren 19 Pfennig die Kilowattstunde, bald könnte sie 60 Pfennig kosten.

Die Grausamkeiten wurden den Stromkunden häppchenweise vorgesetzt. Es begann mit der EEG-Umlage. Dann ging es Schlag auf Schlag, bis als letzte in der vergangenen Woche die Netzbetreiber auf den D-Zug der Preistreiber aufgesprungen sind.

Für die Vertriebsleiter der heimischen Stadtwerke Christian Riepe (Hameln und Weserbergland) Thomas Rinnebach (Rinteln), Daniel Strathmann (Schaumburg-Lippe) und Marco Brandt (Bad Pyrmont) ist im Prinzip klar, dass diese Kosten an die Kunden durchgereicht werden müssen, einfach deshalb, weil kein Stadtwerk als kommunales Unternehmen solche Steigerungsraten verkraften kann. Doch noch haben nicht alle Aufsichtsräte getagt und dem zugestimmt.

Marco Brandt (Pyrmont) schätzt, dass schon bisher pro Kunde im Jahr (!) beim Strom gerade mal eine Marge von 25 bis 30 Euro unterm Strich übrig bleibt. Stadtwerke wären schon pleite, wenn sie nicht auch noch mit Wasser, Gas und Abwasser handeln würden.

Für Christian Riepe, Vertriebsleiter bei den Stadtwerken Hameln und Weserbergland, ist klar, „wir kriegen die Prügel, obwohl wir hier nur die Geldeintreiber für den Staat und die Netzbetreiber sind“. Paradox ist nämlich, die eigentliche Ware, die hier gehandelt wird, der Strom, ist an der Strombörse in Leipzig billiger geworden. Dem Kunden nütze das im Moment aber wenig, klärt Riepe auf, „denn die Stromlieferverträge für Tarifkunden haben wir vor zwei Jahren abgeschlossen, und da waren die Preise noch oben“. Riepe schätzt, dass die eigentlichen Stromkosten inzwischen nur noch knapp 30 Prozent des Gesamtpaketes ausmachen.

Derzeitiger Stand der Dinge (der sich aber noch ändern kann):

  • EEG-Umlage: Das Prinzip hier ist: Ökostrom aus Sonne, Wind, Wasser und Biomasse wird den Produzenten zu garantierten Preisen abgenommen, die unter den derzeitigen Marktpreisen liegen. Die dadurch entstehende Finanzierungslücke zahlen alle Stromverbraucher. Die Erhöhung von 3,59 auf 5,277 Cent pro Kilowattstunde ist bereits beschlossene Sache.
  • Offshore-Haftungsumlage: Das ist ein völlig neuer Posten in der Rechnung. Damit sollen Verluste gedeckt werden, die sich durch eine Verzögerung bei der Netzanbindung von See-Windparks ergeben könnten. Im Gespräch: 0,25 Cent pro Kilowattstunde. Was hier passiert, illustriert Thomas Rinnebach (Rinteln) an einem Beispiel: Stellen Sie sich vor, ein Bäcker kann keine Brötchen backen, weil die Straße zu seinem Betrieb wegen der vielen Schlaglöcher nicht befahrbar ist. Der Bäcker macht Verluste. Die kriegt er erstattet, indem man alle Brötchen, die in ganz Deutschland gebacken werden, teurer macht. Nach diesem Prinzip funktioniert die Offshore-Haftungsumlage. Das Gesetz über die tatsächliche Höhe der Umlage soll vor Weihnachten beschlossen werden.
  • Netzentgelte: Hier ist bundesweit von den Netzbetreibern eine Erhöhung im Gespräch. Die Stadtwerke werden nachziehen müssen, sagen Rinnebach und die Kollegen, weil die vorgelagerten Netze teurer werden.
  • Paragraph 19: Weil die Politik energieintensiven Unternehmen im vorigen Jahr das Schlupfloch aufgemacht hat, auf Antrag unter bestimmten Voraussetzungen von der EEG-Umlage und den Netzentgelten befreit zu werden, entstehen Verluste, die nach dem gehabten Prinzip auf alle anderen Stromkunden umgelegt werden. Im Grunde subventionieren damit die Stromkunden die Aluminium- und Stahlwerke.
  • Umlage für die KraftWärme-Kopplung: Eine Erhöhung ist hier im Gespräch, aber noch nicht beschlossenen.
  • Reservekapazitätsumlage: Ebenfalls im Gespräch, könnte kommen. Hier geht es darum, dass Kohlekraftwerke, die eigentlich abgeschaltet sind, trotzdem „standby“ laufen sollen, damit sie im Falle eines Falles Strom liefern können. Auch „standby“ kostet Geld, wie jeder weiß.
  • Dann gibt es noch: Stromsteuer, Umlagen für Messstellenbetrieb und Abrechnung – das sind immer jeweils zwei Stellen hinterm Komma. Hier sind Erhöhungen noch nicht im Gespräch.
  • Bleibt noch der Posten Konzessionsabgabe: Das ist das Geld, das Kommunen dafür kassieren, dass sie Stadtwerken für die Verlegung ihrer Leitungen Straßen und Plätze zur Verfügung stellen. Ein alter Zopf, hört man hinter vorgehaltener Hand, den aber niemand abschneiden will, weil dieses Geld von Kämmerern als sichere Einnahme in den ohnehin immer klammen Stadthaushalten eingebucht ist.
    Oft werden, wie im Falle der Stadt Rinteln, davon unter anderem defizitäre Einrichtungen wie das Freibad finanziert. Aktuell wäre das ohnehin nicht zu ändern, da diese Verträge langfristig datiert sind.
  • Obendrauf, sozusagen als Sahnehäubchen für den Staat, kommen auf das ganze Paket noch 19 Prozent Mehrwertsteuer. Erst am letzten Wochenende hatte SPD-Chef Sigmar Gabriel gefordert, dieser Posten müsste vermindert werden.

Die Vertriebsleiter der heimischen Stadtwerke geben offen zu: Da blickt der normale Kunde nicht mehr durch. Wo bei den ganzen Umlagen für Stadtwerke der Pferdefuß lauert, erläuterte Riepe (Hameln): „Wir tragen das Forderungsausfallrisiko, wenn ein Kunde nicht mehr zahlen kann.“ Und der Gesetzgeber hat Stadtwerken noch eine Bürde aufgehalst: die Grundversorgung.

Rinnebach nennt ein Beispiel: „Da wechselt jemand, der bereits klamm bei Kasse ist, zu einem Billiganbieter aus dem Internet. Der erhöht nach ein paar Monaten die Preise, damit auch die Abschlagszahlungen.

Der Kunde kommt mit seinen Zahlungen zwei Monate in Verzug. Der Billiganbieter liefert keinen Strom mehr, dafür klingelt das Inkassobüro an der Tür. Jetzt sind die Stadtwerke dran. Die müssen den Kunden wieder aufnehmen und Strom liefern.“

Warum das Billiganbieter-Modell nach wie vor funktioniert, schildern Marco Brandt (Bad Pyrmont) und Thomas Rinnebach (Rinteln) so: Das sei eine ganz einfache Rechnung, die Kunden unterschreiben einen Vertrag über 12 Monate, Kündigungsfrist drei Monate, meist Vorauszahlung. Dann schickt der Billiganbieter eine Preisanpassung von 30 Prozent. Erfahrungsgemäß springt aber nur jeder vierte Kunde wieder ab, die anderen sind zu träge, um zu kündigen oder verpassen den Termin. Das bedeutet, die bleiben, zahlen jetzt den Strom für die neuen mit Billigtarifen geköderten Kunden mit.

Rinnebach: „Die Discounter, die in Rumänien oder Bulgarien sitzen, haben ein paar Rechner, ein Büro, keine Kosten. Die Kunden wimmelt ein Callcenter ab.“ Stadtwerke müssten dagegen eine komplette Infrastruktur vorhalten.

Wer ist schuld an den Preissteigerungen für Strom? Da sind sich im Großen und Ganzen alle einig: die Energiewende. Doch die haben eigentlich alle gewollt. Geht man jedoch ins Detail, wird der Schwarze Peter munter hin- und hergeschoben.

Immerhin, wer Geld und ein Dach hat, kann von den hohen Preisen profitieren und sich eine Solaranlage zulegen. Hat man nur Geld, aber kein Dach, bleibt noch die Investition in eine Bürgersolaranlage, wie sie beispielsweise die Stadtwerke Rinteln anbietet.

Wer sind die Leidtragenden? Ganz klar, der Mittelstand. Wohlhabende werden die gestiegenen Stromkosten verkraften, für arme Rentner und Hartz-IV-Empfänger wird die Politik eine Lösung finden.

Als Zahlmeister bleiben Otto Normalverbraucher und die Mittelständler in Handel, Gewerbe und Industrie. Deshalb werde die Strompreiserhöhung, sagt Rinnebach, weitere Kreise ziehen. Die Bäcker haben bereits angekündigt, dass Brot und Brötchen teurer werden müssen.

Bleibt die Frage, was machen die großen vier Stromkonzerne? Die halten sich zunächst bedeckt. Pressesprecher Edgar Schroeren von e.on Westfalen Weser Vertrieb GmbH in Paderborn teilte auf Anfrage schriftlich nur lapidar mit: Wie sich die steigenden Kosten für EEG oder anderer Abgaben zukünftig auf die Preise für Privatkunden auswirken, lässt sich derzeit noch nicht sagen. Kostenveränderungen sind aber – wie bei allen Unternehmen – bei der Kalkulation der Preise zu berücksichtigen. Mündlich wollte er sich nicht äußern.

Intern war zu hören, möglicherweise geben die großen vier die Kosten nicht 1:1 weiter, der Grundpreis wird stabil bleiben, weil die Kriegskassen noch gut gefüllt sind, die Stromkonzerte in den letzten Jahren noch Gewinne gemacht haben.

Kippt jetzt die Sympathiekurve für die Energiewende? Gibt es eine Lösung? Rinnebach sieht das so: Es sei von Beginn an klar gewesen, dass es die Energiewende nicht zum Nulltarif geben werde. Doch jetzt müsse die Politik gegensteuern, vielleicht eine Reform des EEG angehen, wie es Bundeswirtschaftsminister Rösler schon angesprochen hat.

Stadtwerkegeschäftsführer Jürgen Peterson (Rinteln) betont, trotz aller Probleme stehe man zur Energiewende. Er ist überzeugt, dass sie machbar ist und nennt als positives Beispiel: Alle Biogas- und Solaranlagen in der Stadt versorgen gemeinsam rein rechnerisch schon heute zusammen mit den 25 Blockheizkraftwerken etwa die Hälfte der Rintelner Bevölkerung mit Strom.

 

© Schaumburger Zeitung, 23.10.2012; Foto: dpa