„Wir werden von E.on erpresst und verarscht“

21.09.2012

Stromkonzession an die Stadtwerke Rinteln: Gemeinderat muss eigenen Beschluss kassieren

 Von Frank Westermann

Auetal. Der Satz, auf den die Gemeinde ein Stück Zukunftshoffnung setzt, kommt im leicht gestelzten Juristendeutsch daher: „Aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung ergibt sich die Befugnis einer Gemeinde, eine grundlegende Systementscheidung darüber zu treffen, ob sie die zur örtlichen Daseinsvorsorge gehörende Aufgabe des sicheren und effizienten Betriebes der öffentlichen Energienetze in eigener Regie oder durch private Dritte erfüllen will.“ Geschrieben haben ihn die Richter am Verwaltungsgericht Oldenburg, er bezieht sich auf ein erstinzstanzliches Urteil, und er verkündet auf deutsch: Wir stärken die Rechte der Kommunen. Und zwar kräftig.

Dort oben, im Oldenburgischen, hatten Kommunen beabsichtigt, die Ende des Jahres 2012 auslaufenden Strom- und Gaskonzessionen an eine von insgesamt 18 Städten und Gemeinden im Kreisgebiet gegründete Netzgesellschaft neu zu vergeben. Der Landkreis Leer sah allerdings neben kommunalrechtlichen Vorschriften auch energie- und kartellrechtliche Gesetze als verletzt an und hatte deshalb Ratsbeschlüsse über den Abschluss von Konzessionsverträgen mit den kommunalen Energieversorgungsunternehmen kommunalaufsichtlich beanstandet: Die Gemeinden hätten die Auswahl in einem intransparenten und diskriminierenden Verfahren getroffen, so der Vorwurf des Landkreises. Zudem bestehe die Gefahr, dass das Vorhaben der Gemeinden ihre wirtschaftliche Leistungsfähigkeit übersteige und die Sicherung der Energieversorgung gefährdet werde.

Das sahen die Richter dann anders.

Abzuwarten bleibt, ob das Urteil Bestand haben wird.

Denn das Oldenburger Urteil, sollte es wirklich Bestand haben, stärkt die kommunale Selbsverantwortung im hohen Maße, weil es im Kern aussagt, dass die Gemeinden das Recht haben, selbst zu entscheiden, welche Stromnetze sie in ihrem Hoheitsgebiete verlegen und vertreiben lassen, Bürgermeister Thomas Priemer fasst das Urteil so zusammen: Man müsste dann nicht einmal ein Auswahlverfahren durchführen.

Das alles sollte man im Hinterkopf behalten, wenn man jetzt thematisch ins Auetal wechselt, denn dort hat der Gemeinderat im Juli letzten Jahres beschlossen, die Stromkonzession an die Stadtwerke Rinteln GmbH zu vergeben – und diesen Beschluss jetzt wieder aufgehoben. Für die Vergabe der Stromkonzession an ein interessebekundendes Unternehmen werden nochmals Angebote ausgewertet und dem Rat zur Beschlussfassung vorgelegt.

Der Stand der Dinge: 2011 wurde im Rat der Auetaler Gemeinde der Beschluss gefasst, den Stromkonzessionsvertrag mit den Stadtwerken Rinteln abzuschließen. Vorausgegangen war ein Bewertungs- und Vergabeverfahren der eingegangenen Angebote von E.on Westfalen Weser und den Rintelnern, das vom beauftragten Gütersloher Beratungsbüro WRG Solutions betreut wurde. Nach dem Ratsbeschluss waren Termine mit E.on Westfalen Weser vereinbart worden, um die Kaufvertragsverhandlungen für die Übernahme des Stromnetzes aufzunehmen und abzuschließen. Nachdem Einigkeit über einen ersten Gesprächstermin bestand, hatte E.on Westfalen Weser dann aber alle Kaufvertragsverhandlungen, auch die mit der Gemeinde Auetal, kurzfristig abgesagt und Ende Januar 2012 über die hiesige Presse mitgeteilt, dass E.on Energie AG die 63 Prozent Anteile aus E.on Westfalen Weser AG den an dieser Gesellschaft beteiligten Kommunen mit 37 Prozent Kommunalanteilen verkaufen will, so dass dann eine 100-prozentige Gesellschaft entsteht, die ausschließlich aus kommunalen Anteilseignern besteht.

Gleichzeitig wurde ein Hamburger Rechtsanwaltsbüro beauftragt, alle Verfahren bei den Landeskartellbehörden in Hannover und Düsseldorf als rechtswidrig anzuzeigen, denn die Verfahren seien nicht diskriminierungsfrei erfolgt und somit ein wirksamer Übergang auf einen neuen Konzessionsnehmer nicht eingetreten sei. Was Priemer im Rat so mutmaßen ließ: E.on Westfalen Weser wolle keine Konzessionen aufgeben, um ein möglichst homogenes Netz zu veräußern – und keinen Flickenteppich, bei dem hier und dort eine Konzession fehle.

In einem Gespräch Ende Juli diesen Jahres schlugen die Vertreter der Landeskartellbehörde vor, dass das Verfahren der Gemeinde Auetal nachgebessert werden sollte und sie empfahlen, den bestehenden Ratsbeschluss, der mit der Vergabe der Konzession an die Stadtwerke Rinteln endete, aufzuheben, neue Vergabekriterien mit Gewichtungen aufzustellen und den bisher am Verfahren beteiligten Anbietern nochmals Gelegenheit zu geben, ein neues Angebot für einen Konzessionsvertrag innerhalb einer bestimmter Frist vorzulegen.

Die Landeskartellbehörde hat den Verdacht, dass, kurz gesagt, das von der Gemeinde zur Vergabe der Stromkonzession durchgeführte Verfahren den Grundsätzen der Transparenz nicht entsprochen hat und damit zu einer Behinderung der Chancen der E.on Westfalen Weser AG und möglicherweise noch weiteren Interessenten im wettbewerblichen Verfahren geführt hat. Das sieht Thomas Priemer völlig anders: Bis zum Zeitpunkt des Verkaufs der 63-prozentigen Anteile am Unternehmen habe man ausschließlich die Verhandlungen über den Kaufpreis geführt. Eine Auseinandersetzung zwischen E.on Westfalen Weser und den Kommunen über ein diskriminierungsfreies Verfahren sei nie ein Thema gewesen.

Die Landeskartellbehörde ist der Auffassung, dass aus den aufgestellten Kriterien, der sogenannten Bewertungsmatrix vom November 2010, keine Gewichtung erkennbar sei. Damit hätten die Anbieter im Mai 2011 nicht umfassend erkennen können, welche Kriterien gelten. Zum Zeitpunkt der Aufstellung der Bewertungsmatrix und Auswertung der Angebote lag kein durch die Rechtsprechung gesicherter Kenntnisstand vor, sagt Priemer, und: „Im Stromnetzbereich weiß zurzeit keiner, was richtig und was falsch ist.“ Erst in den letzten Monaten habe sich durch verschiedene Rechtsprechungen, Einschätzungen der Kartellbehörden und der Bundesnetzagentur eine Rechtsauffassung herausgeschält, die nun für die Bewertung der anhängigen Stromkonzessionsverfahren herangezogen wird.

Im Übrigen waren alle Anbieter stets über das Angebotsverfahren und deren Inhalt informiert gewesen, so sieht es die Gemeindeverwaltung in der Vorlage zum Aufhebungsbeschluss: „Zu jedem Zeitpunkt war klar, welche Bewertungen von der Gemeinde bei der Vergabe der Konzession herangezogen werden. Alle Anbieter hatten diese Kriterien akzeptiert und sie auch in ihren Konzessionsvertragsangeboten dargestellt.“

Vor dem Gemeinderat verwies Priemer auf entsprechende Protokolle: Auch wenn sich die Kriterien geändert hätten, so seien alle Ansprechpartner über diese Änderungen informiert – und zwar, wie es sich gehört, schriftlich. Und die Beteiligten hätten ja dann nachgebessert: Wie hätten sie das tun können, wenn sie nicht informiert waren, fragte Priemer rhetorisch in die Runde.

Gleichwohl empfehle die Landeskartellbehörde der Gemeinde Auetal aus Rechtssi-cherheitsgründen, den Ratsbeschluss aufzuheben, neue Angebote auf der Basis einer neu zu erstellenden Bewertungsmatrix einzuholen, sie anhand der Matrix und einer Bewertungsskala auszuwerten und das Ergebnis in einer darauffolgenden Ratssitzung durch die Neuvergabe der Konzession zu beschließen.

Im Gemeinderat ließ das gesamte Verfahren die Wogen höher schlagen. Rolf Wittmann (Grüne) sah sich von E.on „erpresst und verarscht“ und malte das Bild eines Energieversorgers, der genug finanzielle Mittel und eine mächtige Lobby (inklusive Kartellbehörde) in der Hinterhand habe, um seine Interessen auch längerfristig durchzudrücken. Auch wenn er wisse, dass es sich um eine sinnlose Geste handle: Er werde sich enthalten.

Der Rest des Rates stimmte für den Aufhebungsbeschluss, wenn auch mit geballter Faust in der Tasche. Denn aus Sicht von Politik und Verwaltung ist es der sinnvollste, weil kürzeste Schritt, um das neue Konzessionsverfahren einzuleiten. Nur Siegbert Held (WGA) übte Kritik an der Verwaltung: Für teures Geld habe man ein begleitendes Fachbüro mit ins Boot geholt, weil der Bürgermeister versichert habe, dass mit diesem Büro an der Seite nichts passieren könne.

Das neue Konzessionsvertragsverfahren soll abschließend im Rat beraten und ein neuer Beschluss gefasst werden. Das Verfahren wird von der Landeskartellbehörde begleitet. Zumindest aus Sicht der Kartellbehörde wäre dann eine Rechtssicherheit nach Abschluss des Verfahrens gegeben.

Bevor die Ratsmitglieder für das neue Verfahren stimmten, strichen sie noch einen Passus in der Vorlage. Er las sich so: „Nach dem Abschluss des Verfahrens sollen wieder Kaufvertragsverhandlungen mit E.on Westfalen Weser aufgenommen werden.“

 

© Schaumburger Zeitung, 21.09.2012; Foto: mk