Von Gülle über Mais zu Wildblumen und Müll?

04.08.2012

Wie mit neuen Modellen Biogasanlagen in der Region rentabler und auch sicherer werden

Biogas als regenerative Energie hat in den letzten Jahren eine rasante technologische wie wirtschaftliche Entwicklung erfahren. Und in diesem Tempo wird es weitergehen. Davon ist Oliver Nacke, einer der Pioniere beim Biogasanlagenbau in der Region, überzeugt.

Sein Unternehmen Archea Biogastechnologie GmbH in Hessisch Oldendorf exportiert das Know-how inzwischen nach Kroatien, Italien und Brasilien, wo Nacke derzeit eine erste große Anlage baut.

Viele Bürger beklagen eine „Vermaisung“ der Landschaft, verursacht vom Biogas-Boom. In Salzhemmendorf beispielsweise, wo es vier Biogasanlagen gibt und sich das Dorf von meterhohen Maiswänden umzingelt sieht. Auch hier sieht Nacke eine Lösung am Horizont: Er prophezeit, in zehn Jahren werde sich die Maisanbaufläche wieder auf ein normales Maß reduziert haben. Landwirte würden dann Wildblumen säen. Die erfordern weniger Arbeitsgänge als Mais, sparen damit Kosten, sagt Nacke – und den Naturschutzbund freut es: „Wenn Sie das einem Landwirt vor zehn Jahren erzählt hätten, dass er Wildblumen in den Fermenter geben kann, der hätte ihnen den Vogel gezeigt.“ So sieht es auch Björn Plaas, Projektmanager bei Arcanum Energy, ein Unternehmen, das Biogaspools managt. Er zählt auf: Zurzeit werde auch experimentiert mit Zuckerrüben, einer Hirseart und Malven. Dazu zwinge allein die gesetzliche Vorgabe, dass nur 60 Prozent Mais in den Fermenter darf.

Langfristig, davon ist der Archea-Geschäftsführer überzeugt, wird man sogar Müll in die Fermenter kippen können. Techniker arbeiten bereits an der entsprechenden Technologie. Denn die wird auch im Ausland gebraucht, erklärt Nacke: „In Brasilien fangen wir da an, wo wir in Deutschland 1998 waren, nämlich mit Fett, Gülle und anderen Abfällen.“

Die dritte Revolution spielt sich derzeit bei den Geschäftsmodellen für die Biogaserzeugung wie -Vermarktung ab. Der Klassiker ist der Landwirt, der mit seinem Biogas ein Blockheizkraftwerk auf seinem Hof betreibt, den Strom ins lokale Netz einspeist und mit der Abwärme Haus und Ställe heizt.

Doch inzwischen haben auch Stadtwerke Biogasanlagen für sich entdeckt und werden damit selbst Erzeuger regenerativer Energien und das dezentral. Sie beteiligen sich an Biogasanlagen wie die Stadtwerke Hameln oder an einem Biogaspool zusammen mit anderen Stadtwerken wie die Stadtwerke Rinteln. Weil bei dem Pool-Modell mehr Geld für Investitionen zusammenkommt, wird hier hinter die Biogasanlagen eine Aufbereitungsanlage geschaltet, die das Rohgas auf Erdgasniveau veredelt, das damit ins Erdgasnetz eingespeist werden kann und praktisch bundesweit verfügbar ist. Eine Idee, die das Beratungs- und Dienstleistungsunternehmen Arcanum Energy (AE) aus Unna erfolgreich am Markt umgesetzt hat.

Beim Biogaspool 1 sind die Stadtwerke Bad Salzuflen mit im Geschäft. Die Stadtwerke Rinteln haben sich am Biogaspool 2 gemeinsam mit den Stadtwerken Burscheid, Bünde, Nienburg, Nümbrecht und Unna beteiligt. Die Anlagen dafür stehen in Müden an der Aller und in Altena. Eine Anlage in Gardelegen in Sachsen-Anhalt soll im nächsten Jahr in Betrieb genommen werden. Bei einer Gesamtinvestition von 6,8 Millionen Euro bringen die Stadtwerke Rinteln einen Kapital- und Rücklagenanteil von 180000 Euro ein. Dafür beziehen sie jährlich zehn Millionen Kilowattstunden aufbereitetes Biogas für Blockheizkraftwerke und Biogastankstelle. Das Biogas, das sie nicht selbst verwerten, können sie weiter vermarkten und sind gleichzeitig an der Rendite des Unternehmens beteiligt, wie Stadtwerkegeschäftsführer Jürgen Peterson erläuterte. Warum kein Pool in Rinteln? Weil die Biogasanlagen hier zu klein sind, sagt Petersen.

Die Kollegen bei den Stadtwerken in Hameln haben einen anderen Weg gewählt: Sie beteiligen sich direkt an Biogasanlagen von Landwirten oder über ein dafür gegründetes Unternehmen. So in Lauenstein und Salzhemmendorf über die Agrar Energie (AEL) an zwei Biogasanlagen. An einer Anlage zu 100 Prozent, an der Zweiten zu einem Drittel. So an Anlagen in Elze und Aerzen. Die Abwärme der Agrar Energie, schildert Marketingleiterin Natalie Schäfer, werde von der Ith-Sole-Therme, der Kooperativen Gesamtschule mit ihrer Turnhalle und dem Schwimmbad genutzt.

Erst am Dienstag hatte sich die Ith-Gas, ein Zusammenschluss von vier Landwirten, als neues Unternehmen in der Branche vorgestellt. Auch hier sind die Stadtwerke Hameln über die Stadtwerke Weserbergland als Partner bei der Gasabnahme beteiligt. Ith-Gas will Wärme an das Schwimmbad und das Krankenhaus in Coppenbrügge liefern. Oliver Nacke geht trotzdem davon aus, dass der Klassiker, das bäuerliche Modell, damit keineswegs ausgedient hat. Einfach deshalb, weil Biogas auf dem unsicheren Markt für Milch und Getreide ein weiteres Standbein für Landwirte ist. Neue Märkte gibt es auch: Die Abwärme kleiner Anlagen kann beispielsweise genutzt werden, um Gärreste zu trocknen, die über Baumärkte als Dünger vermarktet werden.

Landwirt Steffen Eckel in Rinteln betreibt so eine Biogasanlage in Eigenregie, befeuert mit dem Gas ein Blockheizkraftwerk. Der Strom wird ins Netz der Stadtwerke eingespeist, mit der Abwärme seiner Anlage im Winter die Berufsschule in der Nachbarschaft geheizt, im Sommer eine Trocknungsanlage für Getreide betrieben.

Biogas ist nicht ungefährlich: Verschlussschieber und Abgasrohre können lecken und brechen, Gasgemisch entzündet sich. Das Nachrichtenmagazin „Der Spiegel“ listete in seiner Ausgabe vom 16. Juli Brände, Explosionen und Lecks bei Biogasanlagen auf. So haben Gärreste und Gülle aus einer Biogasanlage in Rotenburg/Wümme den Fischbestand eines benachbarten Baches verenden lassen.

In Riedlingen im Kreis Biberach ist ein Fermenter zusammengeklappt, die Dreckflut riss gleich die Trafostation mit. Havarierte Biogasanlagen werden nicht zentral erfasst. Der Naturschutzbund (NABU) Niedersachsen geht von 40 bis 60 pro Jahr aus.

Biogasanlagenbetreiber Steffen Eckel hält für seine Kollegen dagegen: Er habe eine Betreiberschulung absolviert, seine Anlage werde von Fachfirmen gewartet und seit der Inbetriebnahme im Jahr 2006 habe es noch keine einzige Panne gegeben. 

 

© Schaumburger Zeitung, 04.08.2012; Artikel: Hans Weimann; Foto oben: AE; Foto unten: wm