"Anti-AKW-Proteste wie in den Siebzigern"

09.09.2010

Es geht um ihre Zukunft. Und da kennen sie keine Kompromisse. „Raus aus der Atomkraft und hin zu 100 Prozent erneuerbarer Energie bis 2050“, fordern die Greenpeace-Jugendlichen. Mit dem gelben X im XXL-Format, dem Symbol der Anti-Castor-Bewegung, haben rund 30 junge Greenpeace-Aktivisten aus der Umgebung vor dem Atomkraftwerk Grohnde ihrem Protest gegen die geplante Laufzeitverlängerung Ausdruck verliehen. Dass die Bundesregierung weiter auf Kernenergie setzt, erfüllt die jungen Menschen mit Zorn: „Jetzt müssen wir uns also auch in Zukunft mit der stetigen Gefahr eines Super-GAUs und der weltweit ungelösten Endlagerfrage auseinandersetzen“, sagt Mira Jäger von der Greenpeace-Jugend Bielefeld. Damit wollen sich die Jugendlichen aber nicht abfinden – für sie beginnt die große Anti-Atomkraft-Kampagne jetzt erst richtig: Am kommenden Sonntag, 12. September, werden Jugendliche aus ganz Deutschland in Berlin demonstrieren. Und das, so versprechen die jungen Aktivisten, „auf spektakuläre Weise“. Schließlich werfe der Kurs der Bundesregierung Deutschland um Jahre zurück, kritisiert Mira Jäger: „Das Ja zur Atomenergie bedeutet eine dauerhafte Gefahr für alle nachfolgenden Generationen. Das nehmen wir nicht hin.“

„Heftige Kritik an der schwarz-gelben Koalition kommt auch von der politischen Opposition in Schaumburg. Der Atomdeal sei „schlicht ein Geldgeschenk an die großen Energiekonzerne“, empört sich die grüne Bundestagsabgeordnete Katja Keul über das „Einknicken“ der Regierung, eine „Katastrophe und Kapitulation vor den Stromkonzernen“ nennt die grüne Landtagsabgeordnete Ursula Helmhold den „sogenannten Kompromiss“, als „Kniefall vor der Atomwirtschaft“ geißelt der SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy die Laufzeitverlängerung: „Das ist pure Ideologie, es gibt dafür keinen sachlichen Grund.“

Dass das Atomkraftwerk in Grohnde in unmittelbarer Nachbarschaft des Landkreises Schaumburg jetzt 14 Jahre länger am Netz bleibt, hält Edathy für „hochproblematisch“ – als stellvertretender Vorsitzender des Gorleben-Ausschusses weist er vor allem auf die nach wie vor ungelöste Endlagerfrage hin. Und die Rintelnerin Ursula Helmhold wird beim Thema Grohnde emotional: „Ich bin wirklich traurig, dass Grohnde auf fast unabsehbare Zeit weiterläuft – das macht mich sehr wütend.“

Kampflos allerdings wird die Opposition in Bund und Land den Atomdeal nicht hinnehmen: Die Zeichen stehen auf Sturm. „Wir werden aus grüner Sicht alles dagegen tun“, sagt Keul. „Auch klagen.“ Wenn die Bundesregierung sich gegen eine Beteiligung der Länder sträube, müsse die Angelegenheit vor dem Verfassungsgericht geklärt werden, so sieht es auch Edathy. Und prognostiziert: „Die Verlängerung der Laufzeiten wird verfassungsrechtlich nicht zu halten sein.“ Als Landespolitikerin fordert Helmhold die niedersächsische Landesregierung auf, die Beteiligung des Bundesrats einzufordern. „Diese Messe ist noch nicht gelesen.“

Nicht allein Sicherheitsrisiken und ungelöste Endlagerfrage, auch die zu erwartenden Nachteile für die Entwicklung erneuerbarer Energien lassen die Politiker auf die Barrikaden gehen: „Durch diese Entscheidung wird der Ausbau regenerativer Energien geblockt“, kritisiert Keul. Ihre Parteikollegin Helmhold sieht dadurch nicht zuletzt negative Konsequenzen für den Wirtschaftsstandort Deutschland: „Wir drohen die Marktführerschaft bei der Entwicklung umweltfreundlicher Technologien zu verlieren.“ Auch Edathy befürchtet einen Abwärtstrend: „Das könnte die Entwicklung in diesem Bereich sicher bremsen.“

Enttäuscht vom Ausstieg aus dem Atomausstieg sind auch die heimischen Energieversorger, die allein die Marktführerschaft der vier Energieriesen – RWE, E.on, Vattenfall, EnBW – gestärkt sehen. „Das ist ein herber Dämpfer für den Wettbewerb – der doch gerade erst begonnen hatte“, sagt Eduard Hunker, Geschäftsführer der Stadtwerke Schaumburg-Lippe. „Durch die Laufzeitverlängerung ist die Marktmacht der großen Vier auf lange Sicht zementiert“, sieht auch Rintelns Stadtwerke-Chef Jürgen Peterson Schwierigkeiten auf die kleineren Energieversorger zukommen, sich gegen die Riesen auf dem Sektor zu behaupten: „Die Großen haben erhebliche wirtschaftliche Vorteile, für die über 800 Stadtwerke in Deutschland wird es immer schwieriger, wirtschaftlich zu arbeiten.“

Das Oligopol der großen vier Energieversorger halte doch bereits jetzt rund 80 Prozent der Stromerzeugung in den Händen, „diese Entscheidung ist weder stadtwerkefreundlich noch wettbewerbsfördernd“, zeigt sich auch Helmut Feldkötter, Geschäftsführer der erst vor anderthalb Jahren gegründeten Stadtwerke Weserbergland, „sehr enttäuscht“ vom Kurs der Bundesregierung. „Das ist Rückschritt statt Fortschritt“, kritisiert Feldkötter die „Behinderungen auf dem weiteren Weg in eine zukunftsfähige Energieversorgung“. Und der Ökostrom-Fonds habe eine reine Alibi-Funktion: „Letztlich sind das staatlich verordnete Investitionen in die Zukunftsfähigkeit der Atomkonzerne.“ Anders indes bewertet Eduard Hunker den Fonds: „Wenn das Geld aus den Mehrerlösen in diesen Sektor fließt, sehe ich eine Chance, die erneuerbaren Energien stärker an den Markt zu bringen.“

Gespannt sehen die Stadtwerke-Chefs dem von Bundeskanzlerin Merkel angekündigten Ausgleich für die Stadtwerke entgegen. „Die wirtschaftlichen Nachteile müssen kompensiert werden“, fordert Feldkötter. „Konsequent wäre es, wenig effiziente Kohlekraftwerke der Energieversorger vom Netz zu nehmen und stattdessen auf Stadtwerke-Modelle mit erneuerbaren Energien zu setzen.“

Zu den ältesten der 20 E.on-Kraftwerke in Deutschland zählt das seit 1965 laufende Kraftwerk in Veltheim. Pläne, angesichts des Atom-deals Kohle-Kraftwerke stillzulegen, gebe es aber nicht, sagt E.on-Sprecher Dominik Zehatschek auf Nachfrage: „Die Entscheidung der Bundesregierung hat momentan keine Auswirkungen.“

Auswirkungen auf den gesellschaftlichen Frieden hingegen befürchten Kritiker der Laufzeitverlängerung: Der Atomkonsens sei die Befriedung einer jahrzehntelang kritischen Situation gewesen, sagt Sebastian Edathy: „Dieser Friede ist jetzt aufgehoben.“ Einen „riesigen gesellschaftlichen Konflikt“ befürchtet auch Helmut Feldkötter: „Es ist nicht ausgeschlossen, dass die heftigen Anti-AKW-Proteste wie in den Siebzigern wieder aufflammen.“

14 Jahre länger: Bis 2032 bleibt das Atomkraftwerk Grohnde am Netz. Was die Kanzlerin eine „Revolution“ nennt, stößt in Schaumburg auf Widerstand. Massiver Protest wird nicht allein bei der Greenpeace-Jugend laut, von „Kniefall“ und „Kapitulation“ spricht die politische Opposition. Und die heimischen Stadtwerke sehen die Marktmacht der Energieriesen auf Dauer zementiert.

 

© Schaumburger Zeitung, Foto: pr, 09.09.2010