100 Prozent Ökostrom – „bis 2050 möglich und nötig“

08.07.2010

Das Umweltbundesamt legt eine neue Studie vor und hält darin auch längere Atomlaufzeiten für verzichtbar

Von Margit Kautenburger

Berlin. Ökostrom boomt: Schneller als erwartet wächst der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromversorgung. Das Umweltbundesamt hält sogar eine Komplettversorgung durch Wind, Sonne, Wasser und Co. für möglich.

Nach einer neuen Studie, die die Behörde gestern in Berlin vorstellte, kann die Energieversorgung in der Bundesrepublik bis 2050 allein durch erneuerbare Quellen sichergestellt werden. „Dazu bedarf es keiner Technologiesprünge, das ist mit der heute verfügbaren Technik möglich“, sagte der Präsident der Behörde, Jochen Flasbarth. Eine Verlängerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken sei nicht nötig. „Es ist nicht ausgeschlossen, dass das Ziel trotz längerer Atomlaufzeiten erreichbar ist. Aber förderlich wären sie nicht“, sagte Flasbarth.

Vor dem Umweltbundesamt hatten schon der Sachverständigenrat für Umweltfragen und der Forschungsverbund Erneuerbare Energien eine Vollversorgung Deutschlands auf der Basis von erneuerbaren Energien für möglich erklärt. Kohle- und Atomkraftwerke passten auf Dauer nicht zum Ausbau der Erneuerbaren, weil sie Schwankungen der Wind- und Sonnenenergie nicht schnell genug ausgleichen könnten, betonen die Experten. Ein Nebeneinander würde das System ineffizient und unnötig teuer machen. Auch über den Weg zu einem Umbau der Versorgung sind sich die Gutachter einig: Die Potenziale müssen ausgeschöpft, die Energiespeicher weiterentwickelt und das Stromnetz muss der schwankenden Stromerzeugung angepasst werden. Die Studie beschreibe kein „Wolkenkuckucksheim“, sondern basiere auf realistischen Annahmen, versicherte Flasbarth.

Seine Behörde hat in einem ersten Schritt untersucht, wie der Umbau der Versorgung durch einen Regionenverbund erreicht werden könnte. Dabei würden alle regional erzeugbaren erneuerbaren Energiequellen durch ein Stromnetz vernetzt und mit Stromspeichern verbunden. Auch künftig müsse niemand frieren oder bei Kerzenschein lesen, versicherte Flasbarth, das Modell setze die Beibehaltung des bisherigen Lebensstandards voraus. Er appellierte an die Politik, frühzeitig zu entscheiden, „wohin die Reise geht“, um Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Das Umweltbundesamt schlägt vor, künftig ein Lastmanagement des Netzes über den Strompreis zu betreiben. Energie wäre dann teurer, wenn sie knapp ist. Industrie und Verbraucher könnten sich mit ihrem Verhalten entsprechend anpassen. Wie hoch die Kosten für den Umbau der Versorgung ausfallen, hat die Behörde nicht berechnet. Die Kosten für den Klimawandel seien aber höher, so Flasbarth. 

© Schaumburger Zeitung, 08.07.2010