Bakterien fressen Altlasten

06.04.2021

Innovatives Verfahren: Stadtwerke Rinteln sanieren Boden und Grundwasser/Belastungen beseitigt

In dem ehemaligen Gaswerk am Bahnhofsweg haben die Stadtwerke Rinteln von 1896 bis 1964 aus Kohle und Koks Gas gewonnen, das zum Heizen und Kochen und für die Straßenbeleuchtung verwendet wurde. Schließlich stellten die Stadtwerke auf Ferngas um, die alten Erzeugungshallen der Gasproduktion wurden abgerissen.

„Allerdings wurde damals nur oberirdisch abgerissen. Was blieb waren Rückstände im Boden, Schlacke, Ammoniak, flüssiges, schwarzes Zeug“, erklärt der Technische Leiter der Stadtwerke Rinteln, Thomas Sewald.

Der Landkreis Schaumburg hat 2015 bei einer Kontrolle alter Industriestandorte festgestellt, dass auch die Stadtwerke ihren Boden sanieren müssen, denn das „schwarze Zeug“ in der Tiefe ist mit Cyaniden, polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (PAK) und Acridinon belastet. Im Rahmen zahlreicher Untersuchungskampagnen wurden zwei Schadensherde – ehemalige Produktion und Abfallvergrabung – identifiziert. Die Bodenverunreinigungen betreffen über die anthropogenen Auffüllungen hinaus auch die tieferen Bodenschichten und dringen bis in den grundwassererfüllten Bereich vor.

„Zum Glück fließt das Grundwasser in unserem belasteten Bereich – also von unserem Parkplatz bis zum Baumarkt – sehr langsam. Daher ist die Belastung nicht so hoch. Aber selbstverständlich müssen und wollen wir auch handeln“, erklärte Sewald.

Eine Möglichkeit der Bodensanierung wäre es, den Boden tief auszubaggern, aufzuladen und zu einer Deponie oder Verbrennungsanlage zu transportieren.

„Es gibt kaum noch Deponien, die derart belastetes Material annehmen und die Kosten für diese Art der Sanierung würden etwa acht Millionen Euro betragen. Hierbei wäre der Neubau der Gebäude allerdings noch nicht berücksichtigt“, so Sewald.

Daher habe man sich bereits 2018 für ein neues, innovatives Verfahren und die Zusammenarbeit mit den Firmen M & P Ingenieurgesellschaft mbH und Sensatec GmbH entschieden.

„Das Verfahren ist biologisch. Einfach gesagt: Bakterien, die ohnehin im Boden leben, fressen Cyanide und PAK“, erklärt Sewald.

Ganz so einfach ist es dann aber doch nicht, denn im Boden leben nicht genügend Bakterien, um die gesamten Altlasten fressen zu können. Da wird nun biologisch nachgeholfen. Über Bohrlöcher werden die Bakterien mit Sauerstoff und Glukose gefüttert, um ihre Anzahl stark zu vermehren. Nach einiger Zeit wird die Zuckerlösung weggelassen und die große Anzahl Bakterien macht sich über das belastete Material her und vernichtet so die Schadstoffe.

Das Verfahren wurde mit dem Landkreis abgestimmt und wird durch die Geowissenschaftlerin Aglaia Nagel von der Firma M & P Ingenieurgesellschaft mbH federführend betreut.

Auf dem Stadtwerkegelände und im nahen Umfeld wurden seit 2015 mehr als 100 Brunnen errichtet. Aktuell werden Leitungen gelegt und die Sanierungsbrunnen miteinander verbunden. Es sollen insgesamt neun Zirkulationszellen entstehen, die über drei Anlagen gesteuert werden. Durch die Leitungen sollen Sauerstoff und Glukose in den belasteten Boden injiziert werden. Durch das im Kreislauf geförderte Wasser in den beiden Schadensherden werden die Bakterien gut mit Sauerstoff und Zucker versorgt.

Erste Tests im Frühjahr 2020 haben gezeigt, dass die Cyanidbelastung innerhalb von 70 Tagen auf 0,18 mg/l gesunken ist.

„Damit gilt das Grundwasser als sauber. Allerdings dauert der Abbau von PAK etwas länger, aber er funktioniert ebenfalls“, erklärte Sewald. Festgestellt wurde auch, dass die Bodentemperatur im Bereich der Zirkulationsbrunnen um zwei Grad angestiegen ist.

„Das zeigt, dass die Bakterien stark in Aktion sind“, so Sewald.

Die Genehmigung für den Betrieb der Anlage wird in Kürze vom Landkreis erwartet. Die Inbetriebnahme der Anlagen ist für Mai 2021 geplant. Bis etwa 2023/2024 wird die Sanierung dauern, die Kosten betragen etwa eine Million Euro bis 2024. Damit haben die Stadtwerke eine biologische Sanierungsart gewählt, die, ohne den Betrieb der Stadtwerke einschränken zu müssen, besonders nachhaltig und ökologisch wertvoll und dabei auch noch deutlich günstiger ist als ein konventioneller Bodenaushub.

© Schaumburger Zeitung, 06.04.2021